Ein DDR-Koffer mit Kostbarkeiten
Heiligenstadt. Ein Schreihals wollte er nie sein,
obwohl ihm und vielen anderen Menschen mitunter nach Schreien zumute war. Davon
erzählt eines seiner Lieder, die noch lange nachwirken. Seine Stärke sind die
leisen Töne, die eindringlichen, niemals
aufdringlichen Worte. Wenn es angeraten war, sein Anliegen so vorzubringen,
dass, wer wollte, zwischen den Gedichtzeilen las, halfen ihm graue Spatzen oder
der Hecht im Karpfenteich als Fabeltiere. Matthias Gehler öffnete seinen
Original-DDR-Koffer und hatte zwei Gitarren mitgebracht. Zur Konzertlesung am
Donnerstag im
mit freundlicher Genehmigung
Matthias Gehlers bemerkenswerte Konzertlesung im
Eichsfeldforum
Heiligenstadt. Ein Schreihals wollte er nie sein,
obwohl ihm und vielen anderen Menschen mitunter nach Schreien zumute war. Davon
erzählt eines seiner Lieder, die noch lange nachwirken. Seine Stärke sind die
leisen Töne, die eindringlichen, niemals
aufdringlichen Worte. Wenn es angeraten war, sein Anliegen so vorzubringen,
dass, wer wollte, zwischen den Gedichtzeilen las, halfen ihm graue Spatzen oder
der Hecht im Karpfenteich als Fabeltiere. Matthias Gehler öffnete seinen
Original-DDR-Koffer und hatte zwei Gitarren mitgebracht. Zur Konzertlesung am
Donnerstag im
Marcel-Callo-Haus, einer besonderen Form des Eichsfeldforums.
Sein Platz ist im MDR-Landesfunkhaus Thüringen in Erfurt, als stellvertretender
Direktor, Chefredakteur und Hörfunkchef. Er hat Theologie in Deutschland,
Psychologie und Kommunikation in Großbritannien studiert, war 1990
Staatssekretär und Regierungssprecher der ersten frei gewählten DDR-Regierung,
mit Angela Merkel als Stellvertreterin. Matthias Gehler blieb fortan keine Zeit
mehr, das zu tun, was ihm in der DDR Beifall und Einladungen von
Gleichgesinnten eingebracht hatte, kritisches Beäugen und Gängelei von jenen,
die kraft ihrer Macht, aber nur allzu häufig ohne Sachverstand, sich zu
Bestimmern erhoben. Rund 50 Konzerte pro Jahr hat der Liedermacher gegeben. Ein
Vierteljahrhundert später haben ihn Freunde und ehemalige Veranstalter
ermutigt, Koffer und Gitarre wieder hervorzuholen.
Im Koffer liegen,
wohlverwahrt, u.a. seine selbstgebauten Utensilien, der Mundharmonika und der
–Gitarrenhalter und seine Quickmappen mit den damaligen Programmen. Sein
wertvollstes Dokument ist die staatliche Genehmigung, als Liedermacher arbeiten
zu dürfen – und hierfür musste er sich, um eine Verlängerung zu erhalten, im
Drei-Jahres-Rhythmus einer gestrengen Jury stellen, die seine Texte argwöhnisch
prüfte. Begriffe aus der DDR-Alltagssprache wie „Quickmappe“, „VEB“ (wo er einen Facharbeiterberuf erlernte) und „Messe
der Meister von morgen“ (in der BRD „Jugend forscht“) brauchte Matthias Gehler
im Marcel-Callo-Haus nicht zu erklären. Wenige Kilometer weiter westlich ist
das schon anders. So wussten beispielsweise seine Zuhörer in der Umgebung
Duderstadts mit dem Begriff „VEB“ für die volkseigenen Betriebe in der
Deutschen Demokratischen Republik nicht anzufangen.
Für seine aktuelle Tournee hat er noch etwas
dazu gepackt: ein Buch mit Liedtexten und wahren Geschichten aus seinem Alltag
im Osten Deutschlands und eine CD mit Liedern. Titel: „Wenn Gedanken Flügel
hätten“. Eine Liedzeile lautet: „Wir gossen Fundamente und mauerten uns ein...“
Bei seinen aktuellen Konzerten, zu denen er spielt, singt, seine Gedichte
rezitiert, Geschichten aus seinem Leben erzählt und vorliest, sprechen ihn
mitunter junge Leute an und fragen: “Wieso sind das Lieder von früher? Das sind
doch Texte von heute!“ Diese Meinung war am Donnerstag von etlichen Besuchern
jenseits des Jugendalters ebenfalls zu vernehmen und ist spätestens bei der im
Lied gestellten Frage nachvollziehbar: „Warum sind wir oft so blind für
Gesichter, die vom Leben gezeichnet sind?“ Die musikalisch-literarische
Zeitreise endete viel zu schnell.
Zahlreiche Zuhörer waren neugierig auf einen
handgeschriebenen Brief Angela Merkels an Matthias Gehler aus dem Jahr 1990. Er
bringt ihn zu seinen Auftritten mit, als Kopie. Von Dankbarkeit für das 1989
Geschehene sprach Moderator Dario Pizzano. Und von Achtsamkeit, die wir in der
Gegenwart so dringend brauchen.
Dipl. Journal.Christine
Bose


