Glaube ist nicht mehr das, „was sich gehört“
Dr. Markus-Liborus Hermann im Eichsfeldforum begrüßt
Heiligenstadt. Von den rund 81 Millionen Menschen in
Deutschland gehen sonntags drei bis fünf
Millionen Menschen, katholische und protestantische Christen, zur Kirche. Und
ihre Zahl ist, bezogen auf die vergangenen 25 Jahre, rückläufig. „Statistik ist nicht das Evangelium“,
kommentierte am Donnerstag, 1. Oktober 2015, Dr. theol. Markus-Liborius Hermann
im Marcel-Callo-Haus diese Situation und führte das symbolische Wortspiel an,
wonach „Seelsorge keine Zählsorge“ sei. Er war der Einladung gefolgt, im
Eichsfeldforum zum Thema „Evangelisierung – Aufruf zur Mission, Bekehrung oder
Wiederbelebung?“ zu sprechen und mit seinen Zuhörern zu diskutieren, die davon regen
Gebrauch machten.
Moderator Dario Pizzano sprach im Namen der Besucher, als er
Dr. Markus-Liborius Hermann einlud, ein zweites Mal ins Eichsfeldforum zu
kommen. 1980 in Mühlhausen geboren, studierte Markus-Liborius Hermann Theologie
in Erfurt, Salamanca und Jerusalem, war tätig in Lateinamerika und Europa und
arbeitet seit 2010 als Referent für Evangelisierung und missionarische Pastoral
im Bistum Erfurt. Das Apostolische
Schreiben „Evangelii Gaudium“ („Die Freude des Evangeliums“) von Papst Franziskus
bildete die Grundlage seines Vortrages.
Markus-Liborius Hermann sprach über
soziokulturelle Veränderungen, gegen die sich die Kirche nicht stellen, wohl
aber zweitausendjährige Erfahrungen einbringen könne. Wie sie angewendet, in
die Praxis umgesetzt werden, „liegt an uns“. Im Gegensatz zu vergangenen
Generationen sei heute Christ sein kein Erbe mehr; werde nicht mehr als
„normal“ empfunden, sondern werde zur persönlichen Entscheidung in einem
Umfeld, wo die Kirche kein Monopol mehr auf Hoffnung habe. „Glaube ist keine
Konvention mehr, nicht mehr das, was sich gehört’, sondern ein prophetisches
Zeichen“, führte der Redner an. Klassische Pfarreien seien heute nur eine Form
der Kirche, ist er überzeugt und ebenso von der Bedeutsamkeit der Ökumene und
dem Ausbrechen aus gewohnten Bahnen.
Die aufmerksam seinen Ausführungen
folgenden Zuhörer nahmen auch diese Erkenntnis mit: Mission besteht im Dialog.
Wer sich als Christ seinem ihm bekannten und ihm unbekannten Nächsten zuwende,
müsse sich damit auseinandersetzen: Es gehe nicht um Werbung, nicht darum,
einen Rückeroberungsfeldzug zu führen oder eine Wiederbelebung überlebter
Modelle anzustreben, denn: „Das Evangelium ist keine Einbahnstraße.“ Wer Gespräche suche, müsse auch den Mut zur
scheinbaren Vergeblichkeit aufbringen; damit rechnen, nicht gehört zu werden,
weil die Situation unpassend gewesen sei oder die falschen Worte gewählt wurden
und müsse damit rechnen, dass sein Gegenüber „Nein“ sage.
Ein wichtiger Hinweis und eine Bitte des
Theologen an sein Publikum: Keine negativen Bezeichnungen zu finden für
Menschen, die nicht glauben. Beim Aufeinanderzugehen ihnen nicht ein
defizitäres Gefühl vermitteln, das zur Empfindung führt, bei ihnen sei etwas
kaputt.
Sein Fazit: „Wir leben in einer sehr, sehr spannenden Zeit des Umbruchs
und wir sind auf dem Weg zu einer Missionskirche neuen Typs. Vor uns steht eine
Zeit der Vielfalt. Dabei kann den Glauben weitergeben, wer selbst im Glauben
stark ist.“
