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Dienstag, 6. Oktober 2015

Presseartikel der Thüringer Landeszeitung zum Thema "Evangelisierung"



Glaube ist nicht mehr das, „was sich gehört“



Dr. Markus-Liborus Hermann im Eichsfeldforum begrüßt



Heiligenstadt. Von den rund 81 Millionen Menschen in Deutschland gehen  sonntags drei bis fünf Millionen Menschen, katholische und protestantische Christen, zur Kirche. Und ihre Zahl ist, bezogen auf die vergangenen 25 Jahre, rückläufig. „Statistik ist nicht das Evangelium“, kommentierte am Donnerstag, 1. Oktober 2015, Dr. theol. Markus-Liborius Hermann im Marcel-Callo-Haus diese Situation und führte das symbolische Wortspiel an, wonach „Seelsorge keine Zählsorge“ sei. Er war der Einladung gefolgt, im Eichsfeldforum zum Thema „Evangelisierung – Aufruf zur Mission, Bekehrung oder Wiederbelebung?“ zu sprechen und mit seinen Zuhörern zu diskutieren, die davon regen Gebrauch machten. 

Moderator Dario Pizzano sprach im Namen der Besucher, als er Dr. Markus-Liborius Hermann einlud, ein zweites Mal ins Eichsfeldforum zu kommen. 1980 in Mühlhausen geboren, studierte Markus-Liborius Hermann Theologie in Erfurt, Salamanca und Jerusalem, war tätig in Lateinamerika und Europa und arbeitet seit 2010 als Referent für Evangelisierung und missionarische Pastoral im Bistum Erfurt. Das  Apostolische Schreiben „Evangelii Gaudium“ („Die Freude des Evangeliums“) von Papst Franziskus bildete die Grundlage seines Vortrages. 

Markus-Liborius Hermann sprach über soziokulturelle Veränderungen, gegen die sich die Kirche nicht stellen, wohl aber zweitausendjährige Erfahrungen einbringen könne. Wie sie angewendet, in die Praxis umgesetzt werden, „liegt an uns“. Im Gegensatz zu vergangenen Generationen sei heute Christ sein kein Erbe mehr; werde nicht mehr als „normal“ empfunden, sondern werde zur persönlichen Entscheidung in einem Umfeld, wo die Kirche kein Monopol mehr auf Hoffnung habe. „Glaube ist keine Konvention mehr, nicht mehr das, was sich gehört’, sondern ein prophetisches Zeichen“, führte der Redner an. Klassische Pfarreien seien heute nur eine Form der Kirche, ist er überzeugt und ebenso von der Bedeutsamkeit der Ökumene und dem Ausbrechen aus gewohnten Bahnen. 

Die aufmerksam seinen Ausführungen folgenden Zuhörer nahmen auch diese Erkenntnis mit: Mission besteht im Dialog. Wer sich als Christ seinem ihm bekannten und ihm unbekannten Nächsten zuwende, müsse sich damit auseinandersetzen: Es gehe nicht um Werbung, nicht darum, einen Rückeroberungsfeldzug zu führen oder eine Wiederbelebung überlebter Modelle anzustreben, denn: „Das Evangelium ist keine Einbahnstraße.“ Wer  Gespräche suche, müsse auch den Mut zur scheinbaren Vergeblichkeit aufbringen; damit rechnen, nicht gehört zu werden, weil die Situation unpassend gewesen sei oder die falschen Worte gewählt wurden und müsse damit rechnen, dass sein Gegenüber „Nein“ sage.   

Ein wichtiger Hinweis und eine Bitte des Theologen an sein Publikum: Keine negativen Bezeichnungen zu finden für Menschen, die nicht glauben. Beim Aufeinanderzugehen ihnen nicht ein defizitäres Gefühl vermitteln, das zur Empfindung führt, bei ihnen sei etwas kaputt.

Sein Fazit: „Wir leben in einer sehr, sehr spannenden Zeit des Umbruchs und wir sind auf dem Weg zu einer Missionskirche neuen Typs. Vor uns steht eine Zeit der Vielfalt. Dabei kann den Glauben weitergeben, wer selbst im Glauben stark ist.“

Sonntag, 4. Oktober 2015

Presseartikel der TLZ zum Eichsfeldforum " Das Gewissen"



Vom Gewissen lernen


Erstes Eichsfeldforum nach der Sommerpause mit Prof. Dr. Dr. Jörg Splett 



Heiligenstadt. Einen gesegneten und erkenntnisreichen Abend hatte Dario Pizzano als Moderator und Ansprechpartner des Eichsfeldforums am Donnerstag, 17. September 2015,  allen Anwesenden gewünscht. Nach der Sommerpause war im Saal kaum ein Stuhl unbesetzt geblieben. Die lebhafte Diskussion nach dem Vortrag zeigte, wie wichtig vielen Besuchern das Thema „Das Gewissen – Ort der Gotteserfahrung?“ ist. 

Fragen wurden gestellt, Zweifel angemeldet, Zustimmung, aber auch Ablehnung zum Ausdruck gebracht. Auch nach dem offiziellen Ende des Vortragsabends wandten sich viele Interessenten an den Referenten, der nicht zum ersten Mal an dieser Stelle begrüßt werden konnte und eingeladen wurde, erneut ins Eichsfeld zu kommen.  Prof. Dr. Dr. Jörg Splett, Prof. em. für Philosophie aus Frankfurt/Main, einer der bedeutendsten Religionsphilosophen der Gegenwart, hatte sich des anspruchsvollen Themas angenommen. 

„Wir haben es nötig, uns Gedanken darüber zu machen“, leitete er seinen fesselnden Vortrag ein. Er schlug einen Bogen vom antiken griechischen Philosophen Platon (428/427 v.Chr. - 348/347 v. Chr.) und dessen  Schüler Aristoteles (384 v.Chr.-322 v.Chr.) über den Kirchenlehrer Augustinus (354 n. Chr.- 430 n.Chr.) und den deutschen Philosophen der Aufklärung Immanuel Kant (1724-1804)  bis zur Gegenwart. 

Die zwei Gewissensbegriffe des Mittelalters – unterschieden wurde da zwischen dem vertikalen und dem horizontalen Gewissen – erläutete der Wissenschaftler, hier in aller Kürze zusammengefasst: Das vertikale Gewissen gebiete dem Menschen: „Sei anständig“, wobei kein anständiger Mensch frage, warum er das solle. Dieses Gewissen unterscheide zwischen Gut und Böse. Beim horizontalen Gewissen, dem Wertegewissen, gehe es um die zu vermittelnde Erziehung, um die gesellschaftlichen Werte.

Prof. Splett zitierte den englischen Staatsmann Thomas Morus (1478-1535), der noch im Tower, auf seine Hinrichtung wartend, seinen Prinzipien treu geblieben war, seine Meinung nicht änderte, um damit sein Leben zu retten und seiner Familie mitteilte: „Ich kann mein Gewissen nicht auf den Rücken eines anderen Mannes binden.“ 

Das Gewissen sei, so Prof. Splett, „nicht nur ein Produkt der Evolution und der Sozialisierung.“ Bei dem abendfüllenden Thema wurde in der Diskussion der Begriff der Freiheit aufgegriffen und damit im Zusammenhang die Meinung von Politikern und Parlamentariern, ihrem Gewissen gegenüber verantwortlich zu sein. Hierzu der Philosoph, Psychologe und Theologe Jörg Splett: „Gott gibt uns die Freiheit. Die Freiheit  ist keine absolute Selbstbestimmung, sondern heißt, Ja oder Nein sagen zu können. Zur Freiheit gehören Grenzen.“ 

Er treffe so viele Christen, unterstrich er, die sich quälen, um vor Gott gut zu sein. Jedoch: „Gott liebt uns in jedem Moment, vor allen Leistungen, trotz aller Schuld.“ Zu anderen Menschen gut zu sein, was in der höchsten Form gütig bedeute; das Gewissen nicht nur als lästigen Mahner anzusehen, riet er den Zuhörenden und nannte verblüffend einfache Beispiele dafür, im Alltag gut zu sein: Dazu könne z. B. gehören, in einem Streit das letzte Wort „runterzuschlucken.“



Dipl. Journ. Christine Bose