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Montag, 27. Oktober 2014

Pressebericht zum Vortrag im Eichsfeldforum "Bindungen-Warum wir nicht alleine leben können!"


Eichsfeldforum mit neuem Gesicht

 
von Gregor Mühlhaus

 
Von einer völlig neuen Seite präsentiert sich seit diesem Herbst das Eichsfeldforum mit seinen Veranstaltungen im Marcel –  Callo – Haus in Heiligenstadt. Entgegen der jahrelangen Gepflogenheiten, die Veranstaltung in „Kinosaalsitzordnung“ abzuhalten, laden die Veranstalter nun in lockerer Restaurantatmosphäre zum Zuhören, Zuschauen und Miterleben ein. Snacks, Wasser und Rotwein werden gereicht und lassen die Gäste ungezwungen ins Gespräch kommen. Die Plätze jedoch reichten am Donnerstag bei Weitem nicht aus. Angesagt hatte sich Frau Dr. med. H. C. Hinz, Kinderärztin aus Göttingen, um über das Thema „Bindungen – Warum wir nicht alleine leben können“ zu referieren.

 

„Wer früher klettern lernt, kann später besser rechnen“. Mit diesen oder ähnlichen Thesen löste die Medizinerin aus Göttingen unter den gebannt zuhörenden Gästen immer wieder großes Erstaunen aus. Illustrativ beschrieb sie zu Beginn die Gepflogenheiten und die Ausstattung ihrer ehemaligen Kinderarztpraxis, in der ein „Schaukelpferd, so groß wie ein echtes Pferd“ stand und eine „Lokomotive“. Weiße Kittel während der Sprechstunden habe man nicht getragen, auch auf Arztpraxismöbel wurde verzichtet, um den kleinen Patienten die Angst zu nehmen. „Ein junges Kind kann seine Ängste nur mit einem geliebten Menschen regulieren – nie allein“, machte die Fachärztin deutlich, dass Kinder sowohl in den ersten Lebensmonaten als auch später jederzeit eine Bindungsperson zur Seite brauchen.
 
Die beglückenden Lächeldialoge beim Blickkontakt seien beim Kleinkind die ersten Kommunikationsmomente, erklärte Hinz und betonte, dass diese Dialoge bis zum sechsten Lebensmonat bereits 30 000 Mal stattfänden. So erfahre das Kind, dass es anderen Freude bereite und habe selbst keine Angst mehr. Ansprache in Lächeln bringe immer und überall Hoffnung. Man könne dieses Lächeln nicht trainieren oder einstudieren. Als nächster Schritt komme die melodiöse Lautbildung hinzu, die sogenannte Mami – und Papisprache in hoher Tonlage, die verlangsamt und akzentuiert stattfinde. Sie fördere die Aufmerksamkeit mehr als die „normale Sprache“. Laut Hinz hängen die Kinder im wahrsten Sinne des Wortes an den Lippen der Erwachsenen und lernen dann später erst die Bedeutung der Worte. Im weiteren Verlauf der Entwicklung eines Kindes werden Bindungen an andere Menschen, wie an Nachbarn, Freunden oder Krippenbetreuern erweitert.

Dabei entstehen die so wichtigen Fähigkeiten zur Empathie, also dem Mitfühlen. Durch Bindungsstörungen, die zum Beispiel durch wenig Zuwendung, Vernachlässigung, Heimaufenthalt oder Gewalt und Aggression gegen das Kind entstehen können, verlieren die Kinder diese Empathiefähigkeit oder lernen sie erst überhaupt nicht. Sie haben keine wertvollen handlungsleitenden Bilder abgespeichert, auf die sie zurückgreifen können.

Es kommt zu einem „Beziehungsverarmen“. Eines der schlimmsten Szenarien bedeute der Tod eines Elternteils. So nehme dann niemand mehr die Sehnsucht, die inneren Wünsche und Bedürfnisse des Kindes wahr. Die „gewollte Wahrnehmung“ steht nun im Vordergrund. Kinder suchen dann verzweifelt nach Zuwendung, auch mit weniger schönen Mitteln. Sie entpuppen sich als Klassenkasper, Bösewicht und Anstifter zu Verbrechen. „Wenn dann noch eine Demütigung hinzukommt, dann ist das hochexplosiv und verheerend destruktiv, sodass es unmittelbar zu ausufernder Gewalt kommen kann“, unterstrich Dr. Hinz. Für die Entwicklung eines Kindes gelte generell: „Schatzsuche – nicht Fehlersuche“, was bedeute, immer die vielseitigen Fähigkeiten eines Kindes hervorzuheben und nicht die Fehler in den Vordergrund zu rücken.

Montag, 6. Oktober 2014

Pressebericht zur Podiumsdiskussion im BOXKINO Leinefelde


Jugendkriminalität – Wege aus der Spirale der Gewalt 
 von Gregor Mühlhaus

 
Auf seinem T– Shirt steht der Schriftzug „Ich will ein Leuchtturm sein“. Der Mann, der es trägt ist groß und kräftig. Holger Stitz ist einer von drei Podiumsteilnehmern, die kürzlich im Rahmen des Eichsfeld - Forums im Boxkino in Leinefelde über das Thema

„Jugendkriminalität – Wege aus der Spirale der Gewalt“ sprachen.

Bilder von prügelnden Jugendlichen in Großstädten, Tritte auf wehrlose Menschen in U-Bahn Stationen, Gewaltexzesse, die mit Handys gefilmt, den Weg in die sozialen Netzwerke finden, Diebstahl und Drogeneskapaden. Ist das das reale Bild der Jugend von heute?

Dieser Frage stellten sich im abendlichen Diskurs weiterhin Anabel Taefi, Diplomsoziologin aus Münster und Pfarrer Markus Könen aus Heiligenstadt. So berichtete Gastdozentin Anabel Taefi  von ihrer Arbeit mit straffälligen Jugendlichen und unterstrich die Notwendigkeit von Angeboten wie dem Boxkino. Bei allen Sorgen wies sie darauf hin, dass entgegen der landläufigen Meinung, die Jugendkriminalität würde immer mehr ansteigen, eher ein Rückgang zu beobachten sei. „Das belegen Zahlen, Studien und Statistiken“, so die Doktorandin am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen.

Die Wahrheit sei, dass es einen Medienpopulismus gebe und die Menschen gezielt auf Straftaten Jugendlicher aufmerksam gemacht würden. „Schon seit Jahren sinkt die allgemeine Gewaltakzeptanz in der Bevölkerung“, so die Diplomsoziologin weiter. Es sei allerdings ein Anstieg bei Bagatelldelikten zu verzeichnen.

Holger Stitz ist Leiter des Boxkinos in Leinefelde. Er selbst wurde, wie er sagte, früher gehänselt, weil er sportlich nicht gerade begabt war. Dann wurde er auf das Boxen aufmerksam, das ihn inspirierte, aufrüttelte und ihm half an sich zu glauben.

Stitz beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit straffälligen Jugendlichen und sieht  Einrichtungen wie das Boxkino, in dem Sport getrieben und gleichzeitig Sozialarbeit geleistet wird, als eminent wichtig an.  Die Hauptverantwortung bei der kindlichen Erziehung machte er in erster Linie bei Vater und Mutter aus. Heutzutage seien die Kinder in ihrem Lebensgefüge oft hin und hergerissen, sagte der Pädagoge. „Hier im Boxkino erfahren die Kinder und Jugendlichen Aufmerksamkeit und Geborgenheit. Aber was ist, wenn sie nach Hause kommen und der Vater bekifft auf dem Sofa liegt?“, so Stitz über die negative Vorbildwirkungen der Eltern. Spätestens dann stellten sich die Kinder die Frage: „Was ist denn nun eigentlich im Leben das Richtige?“  

Schulpfarrer Markus Könen vom Berggymnasium in Heiligenstadt sprach von „einigen verlogene Diskussionen“, die auf politischer Ebene stattfänden.  Auch er warnte vor zu großem Populismus.

Man müsse nicht überdramatisieren, so der Geistliche. Trotzdem machte Könen unmissverständlich deutlich: „Es gibt natürlich Probleme, die die Kinder mit in die Schule bringen.  Ein Jugendlicher, den wir momentan begleiten, wird im Elternhaus verbal tyrannisiert, weil er den Vorstellungen seines Vaters nicht entspricht“. Das sei auch Gewalt,  mit der man sich auseinander setzen müsse. „Die Kinder und Jugendlichen können nichts dafür in welche Welt sie hineingeboren werden. Wir als Zivilisation machen die Menschen schließlich zu dem was sie sind“, betonte Könen. Das Effektivste bei der Betreuung der jungen Heranwachsenden seien solche Projekte wie das Boxkino, von denen man viel mehr brauche. Unerlässlich jedoch sei ein großes Netzwerk von Bildungszentrem im Allgemeinen, betonte Könen nachdrücklich.

Ein gutes Beispiel wie Sozialarbeit mit Jugendlichen gut funktioniert, ist Julian, der seit 18 Monaten im Boxkino trainiert. Früher war der heute Zwölfjährige übergewichtig. „Irgendwann kam ich zu Holger und zum Boxen. Hier habe ich gespürt, dass jemand an mich glaubt“, so der Schüler.