Eichsfeldforum mit neuem Gesicht
Von einer völlig neuen Seite
präsentiert sich seit diesem Herbst das Eichsfeldforum mit seinen Veranstaltungen im Marcel – Callo –
Haus in Heiligenstadt. Entgegen der jahrelangen Gepflogenheiten, die
Veranstaltung in „Kinosaalsitzordnung“ abzuhalten, laden die Veranstalter nun
in lockerer Restaurantatmosphäre zum Zuhören, Zuschauen und Miterleben ein.
Snacks, Wasser und Rotwein werden gereicht und lassen die Gäste ungezwungen ins
Gespräch kommen. Die Plätze jedoch reichten am Donnerstag bei Weitem nicht aus.
Angesagt hatte sich Frau Dr. med. H. C. Hinz, Kinderärztin aus Göttingen, um
über das Thema „Bindungen – Warum wir nicht alleine leben können“ zu
referieren.
„Wer früher klettern lernt,
kann später besser rechnen“. Mit diesen oder ähnlichen Thesen löste die
Medizinerin aus Göttingen unter den gebannt zuhörenden Gästen immer wieder
großes Erstaunen aus. Illustrativ beschrieb sie zu Beginn die Gepflogenheiten
und die Ausstattung ihrer ehemaligen Kinderarztpraxis, in der ein
„Schaukelpferd, so groß wie ein echtes Pferd“ stand und eine „Lokomotive“.
Weiße Kittel während der Sprechstunden habe man nicht getragen, auch auf
Arztpraxismöbel wurde verzichtet, um den kleinen Patienten die Angst zu nehmen.
„Ein junges Kind kann seine Ängste nur mit einem geliebten Menschen regulieren
– nie allein“, machte die Fachärztin deutlich, dass Kinder sowohl in den ersten
Lebensmonaten als auch später jederzeit eine Bindungsperson zur Seite brauchen.
Die beglückenden Lächeldialoge beim Blickkontakt seien beim Kleinkind die
ersten Kommunikationsmomente, erklärte Hinz und betonte, dass diese Dialoge bis
zum sechsten Lebensmonat bereits 30 000 Mal stattfänden. So erfahre das Kind,
dass es anderen Freude bereite und habe selbst keine Angst mehr. Ansprache in
Lächeln bringe immer und überall Hoffnung. Man könne dieses Lächeln nicht
trainieren oder einstudieren. Als nächster Schritt komme die melodiöse
Lautbildung hinzu, die sogenannte Mami – und Papisprache in hoher Tonlage, die
verlangsamt und akzentuiert stattfinde. Sie fördere die Aufmerksamkeit mehr als
die „normale Sprache“. Laut Hinz hängen die Kinder im wahrsten Sinne des Wortes
an den Lippen der Erwachsenen und lernen dann später erst die Bedeutung der
Worte. Im weiteren Verlauf der Entwicklung eines Kindes werden Bindungen an
andere Menschen, wie an Nachbarn, Freunden oder Krippenbetreuern erweitert.
Dabei entstehen die so
wichtigen Fähigkeiten zur Empathie, also dem Mitfühlen. Durch
Bindungsstörungen, die zum Beispiel durch wenig Zuwendung, Vernachlässigung,
Heimaufenthalt oder Gewalt und Aggression gegen das Kind entstehen können,
verlieren die Kinder diese Empathiefähigkeit oder lernen sie erst überhaupt
nicht. Sie haben keine wertvollen handlungsleitenden Bilder abgespeichert, auf
die sie zurückgreifen können.
Es kommt zu einem
„Beziehungsverarmen“. Eines der schlimmsten Szenarien bedeute der Tod eines
Elternteils. So nehme dann niemand mehr die Sehnsucht, die inneren Wünsche und
Bedürfnisse des Kindes wahr. Die „gewollte Wahrnehmung“ steht nun im
Vordergrund. Kinder suchen dann verzweifelt nach Zuwendung, auch mit weniger
schönen Mitteln. Sie entpuppen sich als Klassenkasper, Bösewicht und Anstifter
zu Verbrechen. „Wenn dann noch eine Demütigung hinzukommt, dann ist das hochexplosiv
und verheerend destruktiv, sodass es unmittelbar zu ausufernder Gewalt kommen
kann“, unterstrich Dr. Hinz. Für die Entwicklung eines Kindes gelte generell:
„Schatzsuche – nicht Fehlersuche“, was bedeute, immer die vielseitigen
Fähigkeiten eines Kindes hervorzuheben und nicht die Fehler in den Vordergrund
zu rücken.