Glaube. Bildung. Leben .

HERZLICH WILLKOMMEN AUF DIESEM BLOG

Donnerstag, 6. Mai 2010

Artikel im "Tag des Herrn" 06.05.2010



UZ: Premiere des ungewöhnlichen Buches „eXzess – Meine zwei Leben“

Heiligenstadt. Nein, abrechnen will der Autor nicht. Nicht mit seiner Vergangenheit, nicht mit Menschen, deren Wege er heute verlassen hat. Er ist kein „kleiner Franziskus vom Eichsfeld“, wie er von ehemaligen „Freunden“ mit ironischem Unterton bezeichnet wird. Und er erwartet auch nicht, dass ihm nun jeder auf die Schulter klopft und bekräftigt: „Dario, wir glauben Dir.“ Zu diesen Verneinungen steht der Autor Dario Pizzano. Er hat mit einem Theologiestudium begonnen; ist seit September 2009 als Regionalbeauftragter des Katholischen Bildungswerkes Erfurt für die Region Eichsfeld im Heiligenstädter Marcel-Callo-Haus tätig.

Sein im Frühjahr 2010 im Pattloch Verlag München erschienene Buch „eXzess – Meine zwei Leben“ schlug ein wie der sprichwörtliche Blitz. Der größte Saal des Jugend- und Erwachsenenbildungshauses reichte am Freitag, 23. April gerade noch so aus, den Menschen aus drei Generationen Platz zu bieten, die zur Buchpremiere gekommen waren. Zusätzliche Stühle wurden gebracht, die Teilnehmerzahl näherte sich der Zweihundert. Besucher, so Diakon Johann Freitag als einfühlsamer Moderator des Abends, die regelmäßig willkommen geheißen werden, andere, die ab und zu mal reinschauen oder jene, die eigens von weiter her angereist waren. Verlagsleiter und Herausgeber Bernhard Meuser aus München und Freunde Darios aus Augsburg kennen Lesungen mit einer überschaubaren Besucherzahl, beginnend im einstelligen Bereich. Was also ließ die Besucher zur Buchvorstellung strömen? 

„Eine Wahnsinnsgeschichte“ steht auf dem Schutzumschlag zu lesen. Und das ist wirklich so. Doch wie kann jemand, geboren 1974, ein Buch über sein Leben, nein sogar über seine zwei Leben schreiben? Ist das nicht erst nach etlichen Lebensjahrzehnten sinnvoll? Nein.  

Da schreibt ein Mensch, der innerlich völlig zerrissen und ausgebrannt war, den Vorhof zur Hölle bereits zu seinem festen Wohnsitz bestimmt hatte. Er schreibt ehrlich, ohne Schuldzuweisungen für andere. Bereitwillig und schonungslos lässt er die Leser teilhaben an seinem Achterbahn-Leben, das er eineinhalb Jahrzehnte lang lebte mit einer selbstgewählten Maske vorm Gesicht. Dario Pizzano, der erfolgreiche Musik- und Event-Manager, war der Strahlemann, der Macher, der ständige Gewinner, der Abenteurer und charmante Frauenverführer. Einer, der scheinbar auf der Sonnenseite des Lebens seinen angestammten Platz hatte, immer gut drauf war, dessen Erfolge wohl nie enden würden. Mehr und mehr rutscht er ab, in die Welt der Drogen, des Alkohols, kämpft gegen Einsamkeit, Krankheit, Depressionen. Seine Beziehungen zur Kirche: Taufe, später Kommunion. Nicht mehr und nicht weniger. 

Am 28. November 2005 gegen 14:00 Uhr auf der Bundesstraße 27, in Niedersachsen, nicht sehr weit weg von Thüringen, vom Landkreis Eichsfeld, passiert dem Ausgeflippten etwas Unfassbares. Von der Wandlung des Saulus zum Paulus wird gesprochen oder geschrieben, vom Damaskuserlebnis, wenn eine solche Situation nur annähernd begreiflich gemacht werden soll. Dario Pizzano sagt dazu den schlichten Satz: „Ich bin gerade Gott begegnet.“ Sagt ihn und wird verstanden, weil Menschen ihn verstehen wollen. Niemand greift zum Telefon, damit der Durchgeknallte möglichst schnell in einer geschlossenen Anstalt verwahrt wird.
Im Buch, das in der Ich-Form geschrieben ist, gibt es Erinnerungen an jüngst Gewesenes, an Ereignisse in den Jahren 2005 bis 2009. Und es gibt Rückblenden, bis ins Jahr 1981. Sie alle gehen zu Herzen und unter die Haut. Die  wunderbaren Musikdarbietungen von Mitgliedern der Eichsfelder Gruppe „diekenstiek“, Miriam Nentwich (Gesang) und Sven Tasch (Klavier) passten so recht zur Premiere eines ungewöhnlichen, lesenswerten Buches.


Montag, 3. Mai 2010

Buchtipp eXzess Meine zwei Leben

Eine Wahnsinnsgeschichte“ steht auf dem Schutzumschlag zu lesen. Und das ist wirklich so. Doch wie kann jemand, geboren 1974, ein Buch über sein Leben, nein sogar über seine zwei Leben schreiben? Ist das nicht erst dann sinnvoll, wenn ein Mensch schon auf etliche Lebensjahrzehnte blickt? Nein.

Das ist keine Rezension im klassischen Sinne. Dieses Buch zu rezensieren bedeutete für mich eine Ausnahmesituation und eine Herausforderung. Denn als ich den Autor kennen lernte, im Herbst 2009, war es geschrieben und angekündigt für das Frühjahr 2010. Es war also kein Erstlingswerk eines mir persönlich völlig Unbekannten. Ich saß einem Mann gegenüber, der im Dienst der katholischen Kirche steht und war zunächst der Meinung, da habe ein junger Mann den klassischen Weg eingeschlagen, der da lautet: Aufgewachsen im christlichen Elternhaus, noch während der Schulzeit die Entscheidung für eine kirchliche Laufbahn, Theologiestudium.

Dario Pizzano gab mir einen winzigen Einblick in das, was mich erwarten würde. Dann nahm ich dieses Buch zur Hand und wusste bereits auf den ersten Seiten: Darin kann niemand einfach nur mal so blättern. Da schreibt ein Mensch, der innerlich völlig zerrissen und ausgebrannt war, den Vorhof zur Hölle bereits zu seinem festen Wohnsitz bestimmt hatte. Er schreibt ehrlich, ohne Schuldzuweisungen für andere Menschen. Bereitwillig und schonungslos lässt er die Leser teilhaben an seinem Achterbahn-Leben, das er eineinhalb Jahrzehnte lang lebte mit einer selbstgewählten Maske vorm Gesicht. Sehr früh schon beginnt Dario an seiner Maske zu basteln, die er lange Jahre tragen wird; im gnadenlosen Alltag erschafft er sich eine Fantasiewelt. Als Rückzugsort, um das Leben zu ertragen. Irgendwie ist er auch stolz darauf und wird von Gleichaltrigen seiner großen Freiheit wegen beneidet. Doch mehr und mehr weicht der äußere Glanz einer bedrückenden inneren Leere. Dario, der erfolgreiche Musik- und Event-Manager, war der Strahlemann, der Macher, der ständige Gewinner, der Abenteurer und charmante Frauenverführer. Einer, der scheinbar auf der Sonnenseite des Lebens seinen angestammten Platz hatte, immer gut drauf war, dessen Erfolge wohl nie enden würden. Mehr und mehr rutscht er ab, in die Welt der Drogen, des Alkohols, kämpft gegen Einsamkeit, Krankheit, Depressionen. Nichts wirkt aufgesetzt oder unglaubhaft. Alles ist so lebendig und persönlich beschrieben, nicht eine Zeile ist unrealistisch, hölzern, schulmeisterhaft oder hoch gelehrt. In einem alles verschlingenden Strudel ringt ein Mensch um innere Ruhe und es ist lange Zeit ein Kampf gegen Windmühlenflügel.

Es mag jetzt sehr pathetisch klingen, ist aber schlicht die Wahrheit. Ich habe mich festgelesen im druckfrischen Buch, hab’ sogar mal das große Heulen gekriegt – nicht aus Verzweiflung, sondern erleichtert über die Richtungsänderung in Darios Leben, obwohl sich meine persönlichen Bindungen zur Kirche in – vorsichtig ausgedrückt – äußerst engen Grenzen halten. Zum ersten Mal konnte ich mir zumindest das vorstellen, was als Damaskuserlebnis bezeichnet wird: das (biblische) Aha-Erlebnis, das zur Umkehr, zur Wende führt. Die Begegnung mit Gott. Die Bibel und heute das Internet wissen: Der Christenverfolger Saulus hatte auf dem Weg von Tarsus nach Damaskus eine prägende Begegnung mit dem auferstandenen Christus. Das beeinflusste ihn so, dass er, heute noch in Form einer Redewendung existierend, sich vom Saulus zum (Apostel) Paulus wandelte. Im Buch, das in der Ich-Form geschrieben ist, gibt es Erinnerungen an jüngst Gewesenes, an Ereignisse in den Jahren 2005 bis 2009. Und es gibt Rückblenden, bis ins Jahr 1981. Sie alle gehen zu Herzen und unter die Haut. Zeigen, dass da ein verängstigtes Kind, auch noch im Erwachsenenalter, nur den einen großen Wunsch hat: geliebt, wahr- und angenommen zu werden.
Dario Pizzano begegnet Gott, als er wieder einmal ganz tief unten ist. Ich muss nicht wissen und auch nicht wissenschaftlich zu ergründen suchen, wie so etwas überhaupt „funktioniert“. Wichtig ist doch einzig und allein nur, dass „es“ passiert ist. Was mich mindestens ebenso berührt wie die Gottesbegegnung selbst ist jene, die unmittelbar danach stattfindet. Voller Sorge, jetzt könne gleich jemand zum Telefon greifen, damit der Durchgeknallte in einer geschlossenen Anstalt verwahrt wird, erlebt Dario das Gegenteil. Ihm wird geglaubt. Die beiden folgenden Sätze sind ebenso kurz wie unpathetisch und einprägsam: „Ich bin gerade Gott begegnet. Nach fast 30 Jahren in der Kälte.“ Immer wieder beeindruckend für mich sind Darios wirkliche, echte Freunde, die zu ihm halten.

Ich hätte den dringenden Wunsch verspürt, dem Autor gegenüber zu stehen, nicht etwa zu einem Pressegespräch, sondern den Menschen Dario kennen zu lernen, mit ihm zu reden „über Gott und die Welt“, würden wir uns noch nie getroffen haben. Hier meint es jemand ernst mit seinem religiösen Leben, steckt andere Menschen an mit seiner Fröhlichkeit und Herzlichkeit, gibt wohltuende Zuwendung ohne lästiges Missionieren-Wollen. Einer, zu dem ich mich, obwohl altersmäßig schon eine Generation weiter, jederzeit voll Vertrauen setzen und sagen kann: „Reden wir miteinander. Reden wir über Trauer und über Freude, über Schlechtes, über Gutes und Schönes in der Welt. Reden wir über das Leben. Und: Hören wir einander zu.“

Christine Bose
Dipl.-Journalistin

Dario Pizzano
eXzess Meine zwei Leben
271 S., Hardcover
ISBN 978-3-629-02242-4
Preis: 16.95 €
Pattloch Verlag München
Verlagsgruppe Droemer und Knaur München
www.pattloch.de